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Fachbücher 
 
 
 

Natalie Angier: Frau. Eine intime Geographie des weiblichen Körpers. Goldmann, München 2000.

Dieses Buch mag auf den ersten Blick nicht auf eine Liste mit aktueller Transgender-Literatur gehören, erstens weil es nicht mehr ganz neu ist, aber mehr noch, weil das Thema Transidentität oder Transsexualität darin überhaupt nicht angesprochen wird, auch nicht indirekt. Trotzdem möchte ich es allen transidentischen Menschen (MzF) ans Herz legen, vor allem den TS, aber auch denjenigen, die keine körperliche Angleichung anstreben.

Natalie Angier beschreibt auf höchst unterhaltsame und zugleich fachlich kompetente Weise so gut wie alle Besonderheiten des weiblichen Körpers. Ihre Zielgruppe sind (Bio-)Frauen, denen sie ein besseres Verständnis für ihren Körper und für die Funktionen derjenigen Körperteile, die geschlechtsspezifisch funktionieren, vermitteln will. Da die Autorin immer wieder ihre eigenen Erfahrungen, sei es bei ihrer Schwangerschaft oder danach, sei es bei ihrer Monatsperiode oder bei anderen Erlebnissen einfließen lässt, hat man den Eindruck dass sie die Leserin auf eine Entdeckungsreise durch ihren eigenen Körper mitnimmt.

Das Buch beginnt mit der Prägung des weiblichen Körpers durch die Chromosomen und anthropologischen Gedanken zur Gebärfähigkeit der Frauen. Dann werden die primären Geschlechtsorgane Klitoris, Gebärmutter, Eierstock, Brust und Brustdrüsen in ihren Funktionen und Wechselwirkungen auf den weiblichen Körper beschrieben, dies alles keineswegs trocken und wissenschaftlich, sondern so unterhaltsam, dass man das Buch gar nicht mehr weglegen möchte. Breiten Raum nehmen die Hormone und deren mit zunehmendem Alter sich ändernden körperlichen und psychischen Auswirkungen auf die Frau ein. Den Abschluss des Buches bilden Gedanken zur weiblichen Aggression und zur Evolutionspsychologie.

Ich habe das Buch von Natalie Angier mit größtem Vergnügen gelesen. Zugleich hat es mir viel über den weiblichen Körper beigebracht. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man durch die Lektüre eines Buches mehr hierüber erfahren kann.

 

 

Susanne Benedek, Adolphe Binder: Von tanzenden Kleidern und sprechenden Leibern. Crossdressing als Auflösung der Geschlechterpolarität?
Edition Ebersbach, Dortmund 1996.

Der Titel dieses Buches hat bei mir Erwartungen geweckt, die das Buch am Ende nicht erfüllte. Es enthält eine vor allem kulturwissenschaftliche und philosophische Annäherung an dieses Thema. Außerdem werden Beispiele aus Film und Literatur aufgearbeitet. Da ich mit anderen Erwartungen an dieses Buch herangegangen bin, habe ich es nicht in sehr positiver Erinnerung. Aber vielleicht muss ich es ein zweites Mal lesen und mich dabei von meinen ursprünglichen Erwartungen lösen.

 
 
 
Amy Bloom: Normal. Transsexual CEOs, Crosdressing Cops, and Hermaphrodites with Attitude.
Bloomsbury, London 2002.

Die Autorin, eine amerikanische Journalistin, wurde von ihrer Herausgeberin aufgefordert, ein Buch über ein Thema zu schreiben, über das sie sich jemals gewundert, das sie aber nie verstanden hat. So hat sie denn ein Buch über Menschen zwischen den Geschlechtern geschrieben. Es handelt von drei Gruppen: FzM-Transsexuellen, männlichen Cross-Dressern und Inter-Sexuellen. Das Buch ist so unterhaltsam und intelligent geschrieben, dass ich es in einem Zuge ausgelesen habe. Aufgrund meiner eigenen Betroffenheit hat mich das Kapitel über amerikanische Cross-Dresser besonders interessiert. Amy Bloom berichtet von Treffen amerikanischer, überwiegend konservativer, Bush-wählender, der Mittelschicht angehörender Cross-Dresser und ihrer Ehefrauen. 

Sehr einfühlsam stellt sie die Konflikte dieser Menschen mit sich selbst und mit ihren konservativen Werthaltungen dar. Ihr besonderes Interesse gilt den an einem sehr traditionellen Frauenbild orientierten Ehefrauen, die sich auf diesen Veranstaltungen unwohl fühlen, aber aus ihrem Rollenverständnis heraus alles tun, um für ihre Männer da zu sein. Auch wenn sowohl die Cross-Dresser als auch ihre Ehefrauen und das Milieu, in dem sie leben, für europäische Verhältnisse fremdartig wirken, so sind viele Fragen der Autorin doch auch hier relevant. Offenbar fällt es vielen biologischen Männern schwer, trotz ihrer Neigung zur Übernahme weiblicher Geschlechtsrollen wirklich die Lebenssituation von Frauen zu verstehen und anzunehmen. Ich fand das Buch sehr lesenswert.

 
 
 
Vern L. Bullough, Bonnie Bullough: Cross Dressing, Sex and Gender. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1993.
 
Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden historische Beispiele für Cross-Dressing vorgestellt, u.a. aus der indischen, der griechischen und der indianischen Kultur, oder Einzelbeispiele wie Chevalier d’Eon. Im zweiten Teil wird die Ausprägung und Verbreitung des Cross-Dressing, aber auch der Transsexualität, in der Gegenwart dargestellt. Das Buch vermittelt einen guten Überblick über Personen (Wissenschaftler, Künstler, Aktivisten, Betroffene), die für die Entwicklung des heutigen Verständnisses von Cross-Dressing von Bedeutung sind. Ich habe es mit Gewinn gelesen.
 
 
 
 
Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter.
Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991.
 
Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts.
Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997.
 
Judith Butler ist Soziologin und Anthropologin und hat mit ihrer These, die geschlechtliche Identität sei sozial konstruiert, in den letzten Jahren großen Einfluss auf die feministische Theoriedebatte ausgeübt. In der Transgender-Debatte ist sie leider noch nicht intensiv diskutiert worden. Die beiden Bücher sind keine leichte Kost. Man muss sich schon in den soziologischen Fachjargon hineinknien und etwas Zeit dafür nehmen. Das hatte ich beim ersten Lesen leider nicht berücksichtigt. Deshalb muss ich einen neuen Anlauf nehmen, bevor ich zu einer eigenen Meinung gelangen kann. Aber diesen zweiten Anlauf habe ich mir fest vorgenommen.
 
 
 
Richard Ekins, Dave King: Virginia Prince. Pioneer of Transgendering.
The Haworth Medical Press, Binghampton NY 2005.
 
Dieser Band enthält neben einer Einführung und einer Kurzbiografie über Virginia Prince durch die Herausgeber, einer Fotodokumentation von Mariette Pathy Allen und einem Nachwort von Richard F. Doctor über ein Treffen mit der damals schon 92jährigen Grand Dame der Transgender eine Zusammenstellung der fünf vielleicht wichtigsten von ihr veröffentlichten Aufsätze aus den 50er bis 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
 
Virginia Prince ist in Deutschland leider nur wenig bekannt. Dabei hat sie der Transgender-Bewegung ganz wesentliche Impulse verliehen. In den 50er und 50er Jahren, als Männer in weiten Teilen der Vereinigten Staaten noch für das Tragen von Frauenkleidern in der Öffentlichkeit wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eingesperrt werden konnten (auch Virginia ist das einmal wegen des Versandes „obszönen Materials“ passiert), leistete sie Pionierarbeit durch Herausgabe von Zeitschriften (Transvestia und Femme Mirror) und die Gründung der Selbsthilfevereinigung „Foundation for Full Personality Expression – FPE“, die später mit einer anderen Organisation zur „Society for the Second Self“ verschmolz und heute noch mit verschiedenen Regionalgruppen unter dem Namen Tri-Ess existiert. Damit schuf sie für viele transidentische Menschen erstmals die Möglichkeit, sich zu treffen und in einen Austausch untereinander zu treten. Von Virginia Prince stammt der Begriff „Transgender“. Sie verstand darunter Menschen, die ohne medizinische Eingriffe in dem Gegengeschlecht leben. Hierzu gehört auch sie selbst. In den 60er Jahren vollzog sie diesen Rollenwandel im Alter von über 50 Jahren ohne OP und lebt auch heute noch als alte Dame in einem Altersheim.
 
Virginia Prince grenzt Transgender scharf von Homosexuellen und Transsexuellen ab. Ihr wurde nicht ganz zu Unrecht die Pflege eines sehr traditionellen und konservativen Frauenbildes sowie Homophobie und Diskriminierung von Transsexuellen vorgeworfen, die in ihren Selbsthilfegruppen nicht erwünscht waren. Man muss ihre Einstellung aber im historischen Kontext sehen. Virginia Prince ging es primär darum, transidentische Menschen aus ihrer Isolation herauszuholen und ihnen ein Selbstwertgefühl zu geben. Sie war ein Geschöpf ihrer Zeit und glaubte, dies nur so erreichen zu können. In ihren Publikationen lässt sich jedoch ein behutsamer Meinungswandel erkennen, der zeigt, dass sie sehr lernfähig und offen für neues Denken war.
 
Die fünf Aufsätze von Virginia Prince, die Ekins und King in ihrem Band veröffentlich haben, kommen jemandem, der zahlreiche emotional geführte Debatten über Definition und Abgrenzung von Transsexuellen, Transgender, Transvestiten und anderen in Internet-Foren und anderen Stellen miterlebt hat, seltsam bekannt vor. Es gibt kaum ein Argument, mit dem sich nicht auch schon Virginia Prince vor Jahrzehnten auseinander gesetzt hat. Es lohnt sich wirklich, diesen Band über eine große alte Dame und Urmutter der Transgender zu lesen.
 
 
 
Richard Ekins: Male Femaling. A Grounded Theory Approach to Cross-Dressing and Sex-Changing.
Routledge, London, New York 1997.
 
Obwohl dieses Buch schon ein paar Jahr alt ist, habe ich es erst jetzt entdeckt und gelesen - und bedauert, dass ich nicht schon früher darauf gestoßen bin. Für manche LeserInnen ist dieses auf der Theorie der symbolischen Interaktion beruhende Buch des britische Sozialpschyologen Richard Ekins vielleicht etwas trocken und akademisch, aber es hat mir wirklich neue Perspektiven für das Verständnis von Transidentät jenseits der Kategorien von TV und TS gebracht, über die oft so nutzlos gestritten wird. Ekins unterscheidet biologisch männliche transidentische Menschen danach, ob sie sich den Körper einer Frau wünschen (body femaling), sexuelle Befriedigung durch die Vorstellung, eine Frau zu sein, erwarten (erotic femaling) oder eine weibliche Geschlechtsrolle einnehmen wollen (gender femaling). Dann unterscheidet er noch nach den Phasen im Prozess der Identifizierung mit dem Gegengeschlecht: Beginning, Phantasying, Doing, Constituting, Consolidating. Wendet man diese Begriffe an, dann erhält man eine weitaus aussagefähigere und plausiblere Systematisierung der verschiedenen Trans-Phänomene als die vereinfachende Gegenüberstellung von TV und TS. Ob ein transidentischer Mensch Hormone und chirurgische Eingriffe braucht, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, oder andere Wege dazu findet, ist dann nicht mehr die einzige und entscheidende Frage. Das Buch erklärt, dass es eine ganze Bandbreite von Ausprägungen der Transidentität gibt, auf die sehr unterschiedliche individuelle Antworten möglich sind.
 
Auch dieses Buch ist letztlich nur eine theoretische Abhandlung, auf die in der Zwischenzeit schon viele andere gefolgt sind. Aber sie ist dem Niveau der meisten Auseinandersetzungen zwischen TV und TS bei uns weit voraus und hat mir viele neue Einsichten gebracht.
 
 
 
 

Richard Ekins, Dave King: The Transgender Phenomenon. Sage Publications, London 2006.

In ihrer zweiten gemeinsam verfassten Monografie zum Thema Transidentität wenden Richards Ekins und Dave King soziologische Analysemuster und ‑kategorien auf Verhaltensweisen transidentischer Menschen an, wobei sie sich stark an den ethnomethodologischen Theorieansatz anlehnen. Sie unterscheiden zwischen vier grundlegenden Einstellungen (Migrieren, Oszillieren, Negieren, Transzendieren) und fünf Verhaltensweisen (Auslöschen – erase, Ersetzen – substitute, Verbergen – conceal, Unterstellen – imply, Umbenennen – redefine), die sie matrixartig analysieren. Auch wenn dieser Ansatz mit soziologischer Terminologie wenig vertrauten LeserInnen ungewohnt und ein wenig sperrig erscheinen mag, so liefert er dennoch wertvolle und erhellende Einsichten in die Denk- und Verhaltensmuster transidentischer Menschen und regt zum Weiterspinnen der Gedanken der Autoren an. 

Unter Migrieren verstehen die Autoren den dauerhaften sozialen Wechsel von einer Geschlechtsrolle in die andere (dies sind typischerweise TS, gleich ob prä-, post- oder non-OP), unter Oszillieren das Hin- und Herwechseln zwischen den Geschlechtern, was für TV typisch ist, aber auch bei manchen TS auftritt, die z.B. ihren Beruf in ihrem Geburtsgeschlecht ausüben und sonst im neuen Geschlecht leben, unter Negieren das Ablehnen jeglicher geschlechtlicher Identität, wofür die Autoren Sissy- oder Hausmädchen-Phantasien als Beispiel betrachten, und unter Transzendieren die Entwicklung neuer Formen von Geschlechtsidentitäten, wie sie z.B. in der „Queer“-Szene vorkommen. 

Diesen grundlegenden Einstellungen entsprechen typische Verhaltensweisen, die bei allen Transidenten mehr oder weniger stark auftreten, aber bei einigen der genannten Kategorien doch gehäuft zu beobachten sind. Diese beziehen sich auf körperliche Merkmale, Kleidung, Frisur, Sprache, Gestik, Anrede, aber auch auf die soziale Rolle. Zum Auslöschen gehören z.B. die Körperenthaarung oder chirurgische Eingriffe wie die Entfernung von Hoden oder Brüsten (bei FzM). Ersetzen kann sich ebenso auf medizinische Maßnahmen beziehen, wenn z.B. aus einem Körperteil wie dem Penis eine Neo-Vagina konstruiert wird, aber auch auf das Erlernen einer weiblich klingenden Stimme, die die männliche ersetzen soll, den Wechsel des Vornamens, von Verhaltensweisen und natürlich den Austausch männlicher durch weibliche Kleidung. Verbergen ist für Transidenten immer dann wichtig, wenn sie beim Wechsel in eine andere Geschlechtsrolle Eigenschaften ihres Geburtsgeschlechts, die dieses verraten könnten und damit einem guten Passing im Wege stehen, nicht beseitigen können. Beispiele sind die Verhüllung des Adamsapfels oder das Verschweigen von biografischen Daten. Ein typisches Beispiel für Unterstellen ist das Tragen von Brustprothesen. Dieses Merkmal kommt besonders oft bei TV bzw. beim Oszillieren vor. Das Umdefinieren ist etwas schwerer zu verstehen. Es kommt dann vor, wenn z.B. geschlechtsspezifische Körperteile gegengeschlechtlich interpretiert werden, etwa wenn ein Penis als große Klitoris gedeutet wird.

Mir hat diese Systematik sehr dabei geholfen, besser zu verstehen, warum transidentische Menschen auf bestimmte Dinge großen Wert legen, zum Bespiel auf ein gutes Passing, und warum ein schlechtes Passing ihren Selbstwert beeinträchtigen kann. Sie hat auch meine Phantasie zu eigenen Interpretationen angeregt. So könnte man das Migrieren (von einem Geschlecht in ein anderes) mit einer Auswanderung in ein anderes Land vergleichen, das Oszillieren dagegen mit einer touristischen Reise, von der man wieder zurückkehrt. Die Anforderungen, die an (migrierende) TS in ihrer neuen Geschlechtswelt gestellt werden, sind durchaus vergleichbar mit den Anforderungen an Auswanderer in ihrer neuen Heimat. Eine hohe Integration von Auswanderern in ihrem neuen Land ist ähnlich zu sehen wie ein gutes Passing einer TS. In einem toleranten und offenen Land kann ein Migrant, der seine ausländische Herkunft nicht verbergen kann oder will, aber ebenso gut leben wie eine TS, die offen zu ihrer Biografie steht. 

Auch der Vergleich zwischen einem oszillierenden TV und einem Touristen kann Augen öffnend wirken. Als Frau bewegt er sich oft genau so unsicher wie ein Tourist in einem fremden Land. Wie Touristen, die sich in Urlauberghettos am wohlsten fühlen, neigen viele TV dazu, „sichere“ Orte wie Transen-Stammtische oder Szene-Lokale aufzusuchen, wo sie mit Verständnis rechnen können, vergeben sich dadurch aber die Chance, das richtige Frauenleben näher kennen zu lernen, wie auch die Touristen in ihren Ferienanlagen nicht viel von dem Land mitbekommen, das sie besuchen. Die Gewissheit ihrer Rückkehr erleichtert sowohl den TV als auch den Touristen, die eine oder andere peinliche Situation durchzustehen. TS sehen hingegen oft auf TV aus ähnlichen Gründen herab wie Auswanderer auf Touristen aus ihrem Heimatland, die sich in ihrem Urlaub daneben benehmen.

Das Buch von Richard Ekins und Dave King hat mir gezeigt, dass auch Soziologen viel zu einem besseren Verständnis von Transidentität beitragen können. Wem der soziologische Jargon nicht zu trocken ist, wird viel von der Lektüre profitieren.

 

 
 
 
Marjorie Garber: Vested Interests. Cross-dressing and Cultural Anxiety.
Routledge, New York 1992.
 
Dieses Buch ist eine sehr detaillierte und tiefschürfende kulturwissenschaftliche Analyse von Cross-Dressing mit Beispielen aus Literatur, Theater, Show,  Film und anderen Bereichen. Keine leichte Koste, sondern etwas für jemanden, der viel Zeit aufbringen will, um dieses Thema tief zu druchdringen.
 
 
 
 
Uwe Hartmann, Hinnerk Becker: Störungen der Geschlechtsindentität. Ursachen, Verlauf, Therapie.
Springer Verlag, Wien 2002.
 
Die Autoren sind Psychologen und Mediziner an der Medizinischen Hochschule Hannover. Nach einer theoretischen Abhandlung über Ursachen und Formen von Störungen der Geschlechtsidentität präsentieren sie eine statistische Auswertung und Analyse mehrerer psychologischer Tests, die sie bei über 60 von ihnen behandelten Transsexuellen durchgeführt haben. Während mich die theoretischen Ausführungen nur enttäuschten, weil sie wenig Neues brachten, hat mich die Darstellung der Testergebnisse dagegen verärgert und aufgebracht. Die Autoren waren offenbar primär daran interessiert herauszufinden, inwieweit Transsexualität eine Ausdrucksform oder das Ergebnis von psychischen Störungen wie Depressionen oder Schizophrenie ist. Wie Transsexuelle mit ihrer schwierigen Situation besser zurecht kommen können, darüber erfährt man in diesem Buch so gut wie nichts. Ich würde diesen Psychologen nicht gerne in die Hände fallen. Und das viele Geld für das teure Buch kann man sinnvoller ausgeben.
 
 
 
 
Stefan Hirschauer: Die soziale Konstruktion der Transsexualität.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1993.
 
Das Buch von Stefan Hirschauer ist die erste mir bekannte systematische Aufarbeitung der Transsexualität aus soziologischer Sicht. Behandelt werden verschiedene soziale Situationen, in denen sich Transsexuelle befinden. Es ist im Kern ein medizinsoziologisches Buch, das der Behandlung von Transsexuellen durch die verschiedenen medizinischen Professionen und den damit verbundenen sozialen Situationen breiten Raum einräumt. Dieses Buch ist sicher mehr für professionelle Soziologen, vielleicht auch Psychologen oder Mediziner mit soziologischem Interesse geschrieben, weniger für Betroffene, die etwas über sich selbst lernen wollen.
 
 
 
 
Arlene Istar Lev: Transgender Emergence. Therapeutic Guidelines for Working with Gender-Variant People and Their Families.
The Haworth Clinical Practice Press, Binghamption (NY) 2004.
 
Dieses Buch von Arlene Istar Lev ist aus meiner Sicht das ultimative und wirklich beste Fachbuch, das ich zum Thema Transidentität gelesen habe. Es richtet sich primär an einen professionellen Leserkreis, also an Ärzte, Psychologen, SozialarbeiterInnen und andere, die sich beruflich mit transidentischen Menschen befassen. Die Autorin ist sich aber bewusst, dass wahrscheinlich auch viele Betroffene ihr Buch lesen werden. Sie ist als Beraterin und Professorin für Sozialarbeit in der Nähe von New York tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Homosexualität, Geschlechtsidentität, Familienberatung und Drogenabhängigkeit. Sie ist selbst lesbisch und schreibt von einem feministischen Standpunkt aus.
 
Die Ausgangsthese von Arlene Istar Lev ist, dass Transidentität ein ganz normaler Ausdruck des menschlichen Daseins ist und dass nicht die betroffenen Menschen durch krankhaftes oder sozial abweichendes Verhalten das eigentliche Problem sind, sondern die soziale Stigmatisierung und Pathologisierung, die sie in unserer Gesellschaft erfahren. Auf dieser humanistischen Grundüberzeugung aufbauend beschreibt sie die Entstehung professioneller Beratungs- und Behandlungsweisen und unterzieht sie einer kritischen Bewertung. Aus der Auseinandersetzung mit ihnen entwickelt sie dann eigene Konzepte und Vorschläge für die Unterstützung und Begleitung transidentischer Menschen und ihrer Familien und geht am Ende auch auf spezielle Fragen wie die Behandlung jugendlicher Transsexueller und die Situation von Intersexuellen ein. Arlene Istar Lev hat eine wirkliche Fülle von Fachliteratur aus unterschiedlichen Disziplinen ausgewertet und zu einem grandiosen Gesamtwerk zusammengeführt.
 
Ich war wirklich fasziniert von dem Buch. Noch nie habe ich eine so profunde Darstellung des Themas gefunden, so viele Antworten auf offene Fragen gefunden und mich zugleich so klar mit den Überzeugungen einer Autorin identifizieren können. Ich kenne kein deutschsprachiges Buch, das auch nur annähernd an dieses heranreicht. Ich wünsche dem Buch von Arlene Istar Lev viele Leserinnen und hoffe, dass die englische Sprache kein Hindernis ist.
 
 
 
Claudia Lang: Intersexualität. Menschen zwischen den Geschlechtern.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2006.
 
Obwohl intersexuelle und transidentische Menschen auf den ersten Blick und bei oberflächlicher Betrachtung viele Gemeinsamkeit besitzen, ist die Kommunikation und Kooperation zwischen ihnen jedoch bemerkenswert schwach. Warum das so ist, versteht man weit besser, wenn man das Buch von Claudia Lang gelesen hat. Sie hat als Ethnologin die Wahrnehmung Intersexueller von sich selbst und ihrer gesellschaftlichen Umwelt analysiert und dazu zahlreiche Interviews mit Betroffenen durchgeführt. Dabei ist mir ein grundlegender, ja diametraler Unterschied zwischen Intersexuellen und Transidenten deutlich geworden: Intersexuelle leiten ihre Geschlechtsidentität von ihrem Körper her, den sie möglichst unberührt lassen möchten, während transidentische Menschen sie im Kopf verorten und ihr Äußeres dem anpassen wollen. Medizinische Eingriffe, denen Intersexuelle während ihrer Kindheit oft ohne ihre Zustimmung, ja vielfach sogar ohne ihre Kenntnis zwecks Zuweisung eines eindeutigen Geschlechts unterzogen wurden, haben sie oft in traumatischer Erinnerung und betrachten sie im Nachhinein als grobe Körperverletzung. Während Transsexuelle in hormonellen und chirurgischen Eingriffen ein notwendiges Mittel sehen, um eine Übereinstimmung zwischen gefühltem und körperlichem Geschlecht herzustellen, lehnen viele Intersexuelle diese ab.
 
Einen breiten Raum in dem Buch nimmt die Auseinandersetzung mit der Frage ein, ob Intersexuelle sich als drittes Geschlecht verstehen sollen. Viele der interviewten Personen sprechen sich dezidiert dafür aus, es gibt aber auch kritische Stimmen dazu. Auch unter Transidenten wird diese Frage offen diskutiert. Die Autorin weist darauf hin, dass die Schaffung eines dritten Geschlechts wahrscheinlich die beiden Kategorien Mann und Frau stärker gegeneinander abschotten würde und Geschlechterwechsel und uneindeutige Zuordnungen erschweren könnte. Manche Intersexuelle schließen daraus, dass eine offenere Definition und Abgrenzung der Kategorien Mann und Frau in rechtlicher, sozialer und kultureller Hinsicht vorzuziehen wäre. Dies würde den Intersexuellen (und transidentischen) Menschen mehr Möglichkeiten zur Variation geben, bis hin zur Definition eines Kontinuums zwischen Mann und Frau.

Das Buch von Claudia Lang ist mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch geschrieben. Trotzdem ist es relativ gut lesbar, auch für jemanden, der nicht jeden Tag soziologische oder ethnologische Abhandlungen liest. Es ist auch für transidentische Menschen sehr interessant, weil es sich intensiv mit Fragen der Geschlechtsidentität allgemein auseinandersetzt. Ich fand das Buch daher nicht nur lesenswert, sondern stellenweise auch sehr spannend.

 

 

Gesa Lindemann: Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl.Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1993.

Am Beispiel von Interviews mit mehreren Mann-zu-Frau und Frau-zu-Mann-Transsexuellen wird deren innere Entwicklung, ihr Outing gegenüber Freunden und Verwandte, ihr Verhältnis zu ihrem Körper und ihre Beziehung zu den sie behandelnden Psychologen analysiert. Die Interview-Beispiele fand ich ganz interessant, aber die Analyse driftete mir doch gelegentlich zu sehr in Bereiche ab, deren Bedeutung sich mir nicht mehr ganz erschloss.

 

 

polymorph (Hrsg.): (K)ein Geschlecht oder viele? Transgender in politischer Perspektive. Querverlag, Berlin 2002.
 
Dieser Band enthält mehrere Aufsätze und Interviews teils aus wissenschaftlicher Sicht (soziologisch, psychologisch, juristisch), teils in Form von Biografien und Erfahrungsberichten, zu verschiedenen Aspekten der Geschlechtsidentität. Die Mehrzahl der Artikel stammt von Transmännern und Intersexuellen. Das Buch ist aber auch für andere Trangender von Interesse. Wie bei den meisten Sammelbänden ist die Qualität und Relevanz der Aufsätze sehr unterschiedlich. Mir haben besonders die beiden letzten Artikel gefallen, und zwar der Aufsatz von Alexander Regh über die Transgender-Bewegung in Deutschland und ein Interview von Jannik Franzen mit Nico J. Beger und Corinna Genschel über politische Aspekte der Transgender-Bewegung. Der Kauf lohnt sich.
 
 
 
Udo Rauchfleisch: Transsexualität - Transidentität. Begutachtung, Begleitung, Therapie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006.
 
Dieses neu erschienene Buch des in Basel tätigen Psychoanalytikers Udo Rauchfleisch ist das zurzeit wahrscheinlich beste deutschsprachige Fachbuch zum Thema. Rauchfleisch hat in den vergangenen 30 Jahren rund 100 transidentische Menschen behandelt und wertet in diesem Buch seine Erfahrungen mit ihnen aus. Er beschreibt dabei auch, wie sich seine Einstellung zur Transsexualität im Laufe dieser Zeit gewandelt hat. Während er darin anfangs - wie übrigens heute immer noch viele seiner Kollegen - eine krankhafte Veranlagung sah, hat ihn der Umgang mit transidentischen Menschen nach und nach zu der Überzeugung gebracht, dass Transsexualität nur eine Normvariante der geschlechtlichen Orientierung und Identität darstellt, die als solche nichts mit einer Krankheit zu tun hat. Allenfalls kann die hohe psychische Belastung, denen die betroffenen Menschen ausgesetzt sind, die Ablehnung durch Angehörige, Freunde, Arbeitgeber und Kollegen und die Schwierigkeiten bei der Findung einer eigenen geschlechtlichen Rollenidentität zu einer erhöhten Anfälligkeit für psychsiche Erkrankungen führen.

Der Autor sieht in der hormonellen und chirurgischen Geschlechtsanpassung nicht die einzig mögliche Lösung für transidentische Menschen, sondern setzt seine Hoffnung darauf, dass eine tolerantere die Gesellschaft in Zukunft eine größere Bandbreite geschlechtlicher Ausdrucksformen zulässt, die diesen ein Ausleben ihrer Geschlechtsidentität auch ohne medizinische Eingriffe ermöglicht.  Er äußert diese Hoffnung auch, weil er in seiner Praxis die Überzeugung gewonnen hat, dass Menschen mit männlichem Geburtgeschlecht immer nur eine mehr oder weniger gute Anpassung an das weibliche Geschlecht gelingen kann, dass diese aber niemals ihre männliche Vergangenheit ganz abstreifen können.

Das Buch ist eine echte Bereicherung für den deutschsprachigen Raum, auch wenn man an der Feststellung nicht vorbei kommt, dass es auf dem englischsprachigen Markt bereits eine größere Vielfalt von zum Teil auch besseren und tiefgründigeren Büchern zum Thema gibt. Außerdem leidet die Lesbarkeit ein wenig durch unnötige Redundanzen
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Janice G. Raymond: The Transsexual Empire. The Making of the She-Male.Teachers College Press, New York, London 1994 (2. Aufl.).

“The Transsexual Empire” wurde 1979 zuerst veröffentlicht. Es ist ein schon etwas älteres, aber immer noch häufig diskutiertes und vor allem sehr kontroverses Buch, das lange Zeit das Denken über Transsexualität in der feministischen Bewegung stark beeinflusst hat. Aufgrund vieler argumentativer Widersprüche und der ignoranten, teilweise auch feindseligen Haltung gegenüber Transsexuellen ist es mit Recht vielfach heftig kritisiert worden. 

Janice G.Raymond sieht in der medizinischen und psychotherapeutischen Behandlung Transsexueller mit dem Ziel der Angleichung an ihr Wunschgeschlecht nicht nur einen Irrweg für die Betroffenen, der ihnen keine Erfüllung und Zufriedenheit bringt. Transsexuelle und vor allem ihre medizinischen und therapeutischen Berater, die sie als transsexuelles Imperium bezeichnet, tragen ihrer Auffassung nach darüber hinaus auch zur Verfestigung tradierter Geschlechtsrollen bei und schaden den Frauen in ihrem Kampf um Überwindung von Diskriminierung und Ausgrenzung. Transsexualität betrachtet sie nicht als individuelles Leiden an der Diskrepanz zwischen angeborenem und empfundenem Geschlecht, sondern als Irreführung von Menschen, die an der Geschlechterdichotomie leiden. Die Geschlechtszugehörigkeit wird nach Raymond durch die Chromosomen eindeutig und für immer bestimmt, so dass medizinische Eingriffe aus einem Menschen mit XX-Chromosomen niemals eine Frau machen können. Besonders negativ äußert sie sich über lesbische Transsexuelle. Diese sind nach ihrer Auffassung Männer, die die Herrschaft des Patriarchats – Eunuchen gleich - in eine ihnen verschlossene Frauenwelt hineintragen. 

In diesem Buch ist viel Hass gegen Transsexuelle zu spüren, der auch durch Ignoranz gegenüber deren Leiden und Verzweiflung herrührt. Viele Behauptungen in dem Buch über die Motive, Lebenslagen, aber auch über die Folgen medizinischer und therapeutischer Maßnahmen entsprachen entweder nie der Wirklichkeit oder sind inzwischen längst widerlegt. Dass die Autorin in einem Vorwort zu der im Jahr 1994 erschienen Neuauflage ihres Buches, also 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung, ihre ursprünglichen Thesen bekräftigt, bestätigt nur, dass sie nicht wirklich daran interessiert ist, Transsexualität zu begreifen, sondern pure Ideologie verbreitet. Dabei versucht sie selbst, Transsexualität als Ideologie zu verdammen, u.a. indem sie immer wieder von „Transsexualismus“ spricht und dahinter einen abgekarteten Angriff eines medizinischen Imperiums gegen die Frauenbewegung und ihre Ziele sieht.
 
Wer an einem tieferen Verständnis von Transsexualität interessiert ist, wird durch dieses Buch nicht klüger. Wer aber die bei manchen Feministinnen lange Zeit vorhandenen und erst in den letzten Jahren schrittweise abgebauten Vorurteile mancher Feministinnen gegen Transsexuelle besser verstehen will, findet in diesem Buch viel Anschauungsmaterial. Schade, dass viele berechtigte kritische Anfragen zur Transsexualität aus feministischer Sicht wie z.B. deren potenziell stabilisierende Wirkung auf die Geschlechterdichotomie oder der mögliche Beitrag Transsexueller zur Überwindung patriarchalischer Verhältnisse, die von Raymond durchaus angesprochen werden, nicht wirklich aufgearbeitet werden.
 
 
 
Deborah Rudacille: The Riddle of Gender. Science, Activism, and Transgender Rights.
Anchor Books, New York 2006.

Deborah Rudacille ist eine amerikanische Wissenschaftspublizistin, die den Umgang mit Transidentität aus einer wissenschaftshistorischen Perspektive beschreibt. Sie befasst sich sowohl mit Medizinern und Psychotherapeuten, die maßgebliche Beiträge zur Erforschung und Behandlung der Transidentität geleistet haben, wie Magnus Hirschfeld, Harry Benjamin, John Money oder Milton Diamond, als auch mit historisch bedeutsamen Betroffenen wie Chevalier d’Eon, einem französischen Diplomaten des 18. Jahrhunderts, der mehrmals zwischen der Rolle als Mann und als Frau hin- und herwechselte, Lili Elbe und Christine Jorgensen, die als erste Menschen gelten, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen, und schließlich mit gesellschaftlichen Bewegungen, die unser Verständnis von Geschlecht und Sexualität beeinflusst haben wie die Lesben- und Schwulen- und die Frauenbewegung. Rudacille arbeitet auf exzellente Weise heraus, wie sich das Denken über Geschlecht und Geschlechtsidentität im Laufe der Zeit zunächst in den einschlägigen Wissenschaften, dann in sozialen Bewegungen und schließlich in der breiten Öffentlichkeit verändert hat und wie hieraus das heutige Verständnis von Transsexualität und Behandlungsstandards in Medizin und Psychotherapie entstanden sind. Es wird deutlich, dass dieses Verständnis nicht einfach auf natürliche Weise vorgegeben ist, sondern von Menschen gemacht wurde, nicht frei von Irrtümern war und in einem ständigen Veränderungsprozess begriffen ist, der wohl nie abgeschlossen sein wird.
 
Sehr interessant ist auch, wie bedeutsam die amerikanische Autorin den Beitrag deutscher Wissenschaftler, vor allem von Magnus Hirschfeld und von Harry Benjamin, zur Erforschung der Transidentität einschätzt. In Deutschland ist Magnus Hirschfeld mehr als Ikone der Schwulenbewegung und weniger als wissenschaftlicher Pionier auf dem Gebiet der Transidentität bekannt. Auch dass Harry Benjamin lange Zeit als Endokrinologe in Deutschland gearbeitet hatte, bevor er in die USA auswanderte und dort die Grundlagen des heutigen Verständnisses von Transsexualität schuf, ist hier zu Lande kaum bekannt.
 
Das Buch von Deborah Rudacille wird durch Interviews mit Transmännern und -frauen ergänzt und aufgelockert. Schwächen hat es in seinem letzten Teil, in dem neuere medizinische und naturwissenschaftliche Theorien vorgestellt werden. Hierin geht sie vor allem auf Untersuchungsergebnisse über den Einfluss synthetischer Chemikalien auf die Hormonbildung und deren Wirkung in Föten ein, auf die eine Zunahme von Geschlechtsidentitätsstörungen in den vergangenen Jahrzehnten zurückgeführt wird. Diese Thesen halte ich für ein wenig voreilig und unausgegoren. Sie derart breit darzustellen entbehrt auch nicht gewisser Willkür im Vergleich zu anderen neueren wissenschaftlichen Denkrichtungen, die unberücksichtigt bleiben. Da der Wert des Buches vor allem in der wissenschaftshistorischen Herausarbeitung des Denkens über Transidentität in Medizin und Psychotherapie liegt, ändert dies jedoch wenig an dem insgesamt sehr positiven Gesamteindruck des Buches.
 
 
 

Rafael Salin-Pascual: The Transsexual Persons and the Brain. Lulu, Mexico City 2008.

Der Autor ist ein weltweit renommierter Hirnforscher, der sich neben der Schlafforschung und der Psychopharmakologie auch mit der Untersuchung von Gehirnstrukturen bei transsexuellen Menschen einen Namen gemacht hat. Dementsprechend waren meine Erwartungen an dieses Buch sehr hoch. Ich versprach mir einen aktuellen Überblick über den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Funktionsweise männlicher und weiblicher Gehirne, deren Unterschiede, und vor allem den Variationen, die Transsexuelle dabei aufweisen, und natürlich auch einige neue, noch unveröffentlichte Erkenntnisse. Leider wurden meine hohen Erwartungen jedoch in weiten Teilen enttäuscht. 

Salin-Pascual betrachtet Transsexuelle mit großer Sympathie und viel Verständnis. Leider geht er jedoch nur sehr oberflächlich auf die wissenschaftliche Hirnforschung und deren Beiträge zur Erklärung der Transsexualität ein. Der Inhalt des Buches gibt in weiten Teilen nur hinlänglich bekanntes Wissen über Transidentität und den Transitionsprozess wider. Und dies macht er schlechter als manch anderes, besser lesbares Buch. Ich habe wenig Neues darin gefunden.

Sehr ärgerlich ist die schlechte, oft grob fehlerhafte Verwendung der englischen Sprache. Sie macht das Buch schwer lesbar. Auch die nachlässige Textformatierung erschwert die Lesbarkeit. Bei dem hohen Preis könnte man eigentlich einen professionell arbeitenden Lektor erwarten. Ich kann das Buch nicht zur Lektüre empfehlen.

 
 
 
 
Susanne Schröter: FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002.

Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Auseinandersetzung mit der binären Geschlechterstruktur aus feministischer Sicht. Die Autorin geht zunächst auf die auf Judith Butler und andere zurückgehende konstruktivistische Theorie ein, nach der die Kategorien Mann und Frau nicht primär biologisch determiniert sind, sondern durch soziale Machtverhältnisse. Anschließend stellt sie historische und kulturell-vergleichende Beispiele für das Aufbrechen oder Ankämpfen gegen die Dichotomie von Mann und Frau dar, um am Ende politische Optionen für verschiedene mit diesem Thema befasste Bewegungen wie die lesbische oder die Transgender-Bewegung aufzuzeigen. Mich hat das Buch gefesselt. Mir sind viele Zusammenhänge klarer geworden. Man muss sich aber etwas Ruhe und Zeit für die Lektüre nehmen und sich auf die wissenschaftliche Herangehensweise einlassen.
 
 
 

Charlotte Suthrell: Unzipping Gender. Sex, Cross-Dressing and Culture.
Berg. Oxford, New York 2004. 

Die Autorin ist eine Anthropologin, die in einer empirischen Studie die Einstellungen und Lebensweisen britischer Transvestiten mit denjenigen der indischen Hidjras vergleicht. Dabei wird deutlich, dass die durch den Hinduismus geprägte traditionell größere Offenheit der indischen Gesellschaft gegenüber Menschen, die sich nicht eindeutig in die binären Kategorien Mann und Frau einordnen lassen, große Auswirkungen auf deren Selbstbild und deren Leben hat. Während die Darstellungen der britischen Transvestiten der mit dem Thema vertrauten Leserin wenig neue Erkenntnisse bringt, ist die Auseinandersetzung mit den Hidjras jedoch sehr interessant.

Die Hidjras verstehen sich als Menschen jenseits von Mann und Frau. Sie stellen eine eigene Kaste dar, die am unteren Rand der indischen Gesellschaft steht. Trotz ihres niedrigen sozialen Status ist damit aber eine grundsätzliche gesellschaftliche Anerkennung verbunden. Vor allem ältere Menschen respektieren die Hidjras, fürchten sie aber zugleich auch, weil sie Unglück bringen können. Die Hidjras leben in Wohngemeinschaften und treten uneingeladen bei Ereignissen wie Geburten und Hochzeiten mit Gesängen und Schauspielereien auf und verlangen dafür eine Entlohnung, die ihnen auch gewährt wird, um Unglück zu verhindern. Mit der anhaltenden Verwestlichung der indischen Gesellschaft wird die traditionelle, von Toleranz geprägte Einstellung zu den Hidjras aber mehr und mehr verdrängt.

Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie ist für mich, dass Kultur und Religion erhebliche Auswirkungen auf die Einstellung der Menschen zur Rolle von Mann und Frau haben. Unsere christlich-jüdisch geprägte Vorstellung von Mann und Frau ist nicht naturgegeben, sondern nur denkbar im Zusammenhang mit der jahrhundertelangen christlichen Prägung unseres Denkens. Äußerst bedenklich finde ich jedoch einige medizinische Aspekte. Sie entfernen in Selbstmedikation auf eine für westliche Maßstäbe archaische Weise unter Lebensgefahr ihre Geschlechtsteile. Auch hormonelle Behandlungen kennen sie offenbar nicht.
 

 

Gypsey Teague (Ed.): The New Goddess. Transgender Women in the Twenty-First Century.
Fine Tooth Press, Waterbury (CT) 2006.
 
Gypsey Teague hat einen Sammelband mit 13 Beiträgen zu einer großen Bandbreite von Transgender-Themen zusammengetragen. Sie behandeln u.a. Darstellungen transidentischer Menschen durch die Presse im Spiegel verschiedener Jahrzehnte, Transgender in Film und Literatur, rechtliche und psychologische Aspekte. Am Ende des Buches kommen einige Betroffene durch Erfahrungsberichte zu Wort. Die Beiträge variieren in der Qualität. Mir haben diejenigen von Ms Bob Davis über transidentische Menschen in der Presse (mit vielen wirklich kuriosen Beispielen, die zeigen, wie sehr sich das gesellschaftliche Klima im vergangenen Jahrhundet doch verändert hat), und die Aufsätze der Herausgeberin, von Nancy Nangeroni und von Marla Robertson über Literatur und Filme mit transidentischen Akteurinnen am besten gefallen.

 


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