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Natalie Angier: Frau. Eine intime Geographie des weiblichen Körpers. Goldmann, München 2000.
Dieses Buch mag auf den ersten Blick nicht auf eine Liste mit aktueller Transgender-Literatur gehören, erstens weil es nicht mehr ganz neu ist, aber mehr noch, weil das Thema Transidentität oder Transsexualität darin überhaupt nicht angesprochen wird, auch nicht indirekt. Trotzdem möchte ich es allen transidentischen Menschen (MzF) ans Herz legen, vor allem den TS, aber auch denjenigen, die keine körperliche Angleichung anstreben.
Natalie Angier beschreibt auf höchst unterhaltsame und zugleich fachlich kompetente Weise so gut wie alle Besonderheiten des weiblichen Körpers. Ihre Zielgruppe sind (Bio-)Frauen, denen sie ein besseres Verständnis für ihren Körper und für die Funktionen derjenigen Körperteile, die geschlechtsspezifisch funktionieren, vermitteln will. Da die Autorin immer wieder ihre eigenen Erfahrungen, sei es bei ihrer Schwangerschaft oder danach, sei es bei ihrer Monatsperiode oder bei anderen Erlebnissen einfließen lässt, hat man den Eindruck dass sie die Leserin auf eine Entdeckungsreise durch ihren eigenen Körper mitnimmt.
Das Buch beginnt mit der Prägung des weiblichen Körpers durch die Chromosomen und anthropologischen Gedanken zur Gebärfähigkeit der Frauen. Dann werden die primären Geschlechtsorgane Klitoris, Gebärmutter, Eierstock, Brust und Brustdrüsen in ihren Funktionen und Wechselwirkungen auf den weiblichen Körper beschrieben, dies alles keineswegs trocken und wissenschaftlich, sondern so unterhaltsam, dass man das Buch gar nicht mehr weglegen möchte. Breiten Raum nehmen die Hormone und deren mit zunehmendem Alter sich ändernden körperlichen und psychischen Auswirkungen auf die Frau ein. Den Abschluss des Buches bilden Gedanken zur weiblichen Aggression und zur Evolutionspsychologie.
Ich habe das Buch von Natalie Angier mit größtem Vergnügen gelesen. Zugleich hat es mir viel über den weiblichen Körper beigebracht. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man durch die Lektüre eines Buches mehr hierüber erfahren kann.
Der Titel dieses Buches hat bei mir Erwartungen geweckt, die das Buch am Ende nicht erfüllte. Es enthält eine vor allem kulturwissenschaftliche und philosophische Annäherung an dieses Thema. Außerdem werden Beispiele aus Film und Literatur aufgearbeitet. Da ich mit anderen Erwartungen an dieses Buch herangegangen bin, habe ich es nicht in sehr positiver Erinnerung. Aber vielleicht muss ich es ein zweites Mal lesen und mich dabei von meinen ursprünglichen Erwartungen lösen.
Die Autorin, eine amerikanische Journalistin, wurde von ihrer Herausgeberin aufgefordert, ein Buch über ein Thema zu schreiben, über das sie sich jemals gewundert, das sie aber nie verstanden hat. So hat sie denn ein Buch über Menschen zwischen den Geschlechtern geschrieben. Es handelt von drei Gruppen: FzM-Transsexuellen, männlichen Cross-Dressern und Inter-Sexuellen. Das Buch ist so unterhaltsam und intelligent geschrieben, dass ich es in einem Zuge ausgelesen habe. Aufgrund meiner eigenen Betroffenheit hat mich das Kapitel über amerikanische Cross-Dresser besonders interessiert. Amy Bloom berichtet von Treffen amerikanischer, überwiegend konservativer, Bush-wählender, der Mittelschicht angehörender Cross-Dresser und ihrer Ehefrauen.
Sehr einfühlsam stellt sie die Konflikte dieser Menschen mit sich selbst und mit ihren konservativen Werthaltungen dar. Ihr besonderes Interesse gilt den an einem sehr traditionellen Frauenbild orientierten Ehefrauen, die sich auf diesen Veranstaltungen unwohl fühlen, aber aus ihrem Rollenverständnis heraus alles tun, um für ihre Männer da zu sein. Auch wenn sowohl die Cross-Dresser als auch ihre Ehefrauen und das Milieu, in dem sie leben, für europäische Verhältnisse fremdartig wirken, so sind viele Fragen der Autorin doch auch hier relevant. Offenbar fällt es vielen biologischen Männern schwer, trotz ihrer Neigung zur Übernahme weiblicher Geschlechtsrollen wirklich die Lebenssituation von Frauen zu verstehen und anzunehmen. Ich fand das Buch sehr lesenswert.
Richard Ekins, Dave King: The Transgender Phenomenon. Sage Publications, London 2006.
In ihrer zweiten gemeinsam verfassten Monografie zum Thema Transidentität wenden Richards Ekins und Dave King soziologische Analysemuster und ‑kategorien auf Verhaltensweisen transidentischer Menschen an, wobei sie sich stark an den ethnomethodologischen Theorieansatz anlehnen. Sie unterscheiden zwischen vier grundlegenden Einstellungen (Migrieren, Oszillieren, Negieren, Transzendieren) und fünf Verhaltensweisen (Auslöschen – erase, Ersetzen – substitute, Verbergen – conceal, Unterstellen – imply, Umbenennen – redefine), die sie matrixartig analysieren. Auch wenn dieser Ansatz mit soziologischer Terminologie wenig vertrauten LeserInnen ungewohnt und ein wenig sperrig erscheinen mag, so liefert er dennoch wertvolle und erhellende Einsichten in die Denk- und Verhaltensmuster transidentischer Menschen und regt zum Weiterspinnen der Gedanken der Autoren an.
Unter Migrieren verstehen die Autoren den dauerhaften sozialen Wechsel von einer Geschlechtsrolle in die andere (dies sind typischerweise TS, gleich ob prä-, post- oder non-OP), unter Oszillieren das Hin- und Herwechseln zwischen den Geschlechtern, was für TV typisch ist, aber auch bei manchen TS auftritt, die z.B. ihren Beruf in ihrem Geburtsgeschlecht ausüben und sonst im neuen Geschlecht leben, unter Negieren das Ablehnen jeglicher geschlechtlicher Identität, wofür die Autoren Sissy- oder Hausmädchen-Phantasien als Beispiel betrachten, und unter Transzendieren die Entwicklung neuer Formen von Geschlechtsidentitäten, wie sie z.B. in der „Queer“-Szene vorkommen.
Diesen grundlegenden Einstellungen entsprechen typische Verhaltensweisen, die bei allen Transidenten mehr oder weniger stark auftreten, aber bei einigen der genannten Kategorien doch gehäuft zu beobachten sind. Diese beziehen sich auf körperliche Merkmale, Kleidung, Frisur, Sprache, Gestik, Anrede, aber auch auf die soziale Rolle. Zum Auslöschen gehören z.B. die Körperenthaarung oder chirurgische Eingriffe wie die Entfernung von Hoden oder Brüsten (bei FzM). Ersetzen kann sich ebenso auf medizinische Maßnahmen beziehen, wenn z.B. aus einem Körperteil wie dem Penis eine Neo-Vagina konstruiert wird, aber auch auf das Erlernen einer weiblich klingenden Stimme, die die männliche ersetzen soll, den Wechsel des Vornamens, von Verhaltensweisen und natürlich den Austausch männlicher durch weibliche Kleidung. Verbergen ist für Transidenten immer dann wichtig, wenn sie beim Wechsel in eine andere Geschlechtsrolle Eigenschaften ihres Geburtsgeschlechts, die dieses verraten könnten und damit einem guten Passing im Wege stehen, nicht beseitigen können. Beispiele sind die Verhüllung des Adamsapfels oder das Verschweigen von biografischen Daten. Ein typisches Beispiel für Unterstellen ist das Tragen von Brustprothesen. Dieses Merkmal kommt besonders oft bei TV bzw. beim Oszillieren vor. Das Umdefinieren ist etwas schwerer zu verstehen. Es kommt dann vor, wenn z.B. geschlechtsspezifische Körperteile gegengeschlechtlich interpretiert werden, etwa wenn ein Penis als große Klitoris gedeutet wird.
Mir hat diese Systematik sehr dabei geholfen, besser zu verstehen, warum transidentische Menschen auf bestimmte Dinge großen Wert legen, zum Bespiel auf ein gutes Passing, und warum ein schlechtes Passing ihren Selbstwert beeinträchtigen kann. Sie hat auch meine Phantasie zu eigenen Interpretationen angeregt. So könnte man das Migrieren (von einem Geschlecht in ein anderes) mit einer Auswanderung in ein anderes Land vergleichen, das Oszillieren dagegen mit einer touristischen Reise, von der man wieder zurückkehrt. Die Anforderungen, die an (migrierende) TS in ihrer neuen Geschlechtswelt gestellt werden, sind durchaus vergleichbar mit den Anforderungen an Auswanderer in ihrer neuen Heimat. Eine hohe Integration von Auswanderern in ihrem neuen Land ist ähnlich zu sehen wie ein gutes Passing einer TS. In einem toleranten und offenen Land kann ein Migrant, der seine ausländische Herkunft nicht verbergen kann oder will, aber ebenso gut leben wie eine TS, die offen zu ihrer Biografie steht.
Auch der Vergleich zwischen einem oszillierenden TV und einem Touristen kann Augen öffnend wirken. Als Frau bewegt er sich oft genau so unsicher wie ein Tourist in einem fremden Land. Wie Touristen, die sich in Urlauberghettos am wohlsten fühlen, neigen viele TV dazu, „sichere“ Orte wie Transen-Stammtische oder Szene-Lokale aufzusuchen, wo sie mit Verständnis rechnen können, vergeben sich dadurch aber die Chance, das richtige Frauenleben näher kennen zu lernen, wie auch die Touristen in ihren Ferienanlagen nicht viel von dem Land mitbekommen, das sie besuchen. Die Gewissheit ihrer Rückkehr erleichtert sowohl den TV als auch den Touristen, die eine oder andere peinliche Situation durchzustehen. TS sehen hingegen oft auf TV aus ähnlichen Gründen herab wie Auswanderer auf Touristen aus ihrem Heimatland, die sich in ihrem Urlaub daneben benehmen.
Das Buch von Richard Ekins und Dave King hat mir gezeigt, dass auch Soziologen viel zu einem besseren Verständnis von Transidentität beitragen können. Wem der soziologische Jargon nicht zu trocken ist, wird viel von der Lektüre profitieren.
Das Buch von Claudia Lang ist mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch geschrieben. Trotzdem ist es relativ gut lesbar, auch für jemanden, der nicht jeden Tag soziologische oder ethnologische Abhandlungen liest. Es ist auch für transidentische Menschen sehr interessant, weil es sich intensiv mit Fragen der Geschlechtsidentität allgemein auseinandersetzt. Ich fand das Buch daher nicht nur lesenswert, sondern stellenweise auch sehr spannend.
Gesa Lindemann: Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl.Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1993.
Am Beispiel von Interviews mit mehreren Mann-zu-Frau und Frau-zu-Mann-Transsexuellen wird deren innere Entwicklung, ihr Outing gegenüber Freunden und Verwandte, ihr Verhältnis zu ihrem Körper und ihre Beziehung zu den sie behandelnden Psychologen analysiert. Die Interview-Beispiele fand ich ganz interessant, aber die Analyse driftete mir doch gelegentlich zu sehr in Bereiche ab, deren Bedeutung sich mir nicht mehr ganz erschloss.
Der Autor sieht in der hormonellen und chirurgischen Geschlechtsanpassung nicht die einzig mögliche Lösung für transidentische Menschen, sondern setzt seine Hoffnung darauf, dass eine tolerantere die Gesellschaft in Zukunft eine größere Bandbreite geschlechtlicher Ausdrucksformen zulässt, die diesen ein Ausleben ihrer Geschlechtsidentität auch ohne medizinische Eingriffe ermöglicht. Er äußert diese Hoffnung auch, weil er in seiner Praxis die Überzeugung gewonnen hat, dass Menschen mit männlichem Geburtgeschlecht immer nur eine mehr oder weniger gute Anpassung an das weibliche Geschlecht gelingen kann, dass diese aber niemals ihre männliche Vergangenheit ganz abstreifen können.
Das Buch ist eine echte Bereicherung für den deutschsprachigen Raum, auch wenn man an der Feststellung nicht vorbei kommt, dass es auf dem englischsprachigen Markt bereits eine größere Vielfalt von zum Teil auch besseren und tiefgründigeren Büchern zum Thema gibt. Außerdem leidet die Lesbarkeit ein wenig durch unnötige Redundanzen.
“The Transsexual Empire” wurde 1979 zuerst veröffentlicht. Es ist ein schon etwas älteres, aber immer noch häufig diskutiertes und vor allem sehr kontroverses Buch, das lange Zeit das Denken über Transsexualität in der feministischen Bewegung stark beeinflusst hat. Aufgrund vieler argumentativer Widersprüche und der ignoranten, teilweise auch feindseligen Haltung gegenüber Transsexuellen ist es mit Recht vielfach heftig kritisiert worden.
Janice G.Raymond sieht in der medizinischen und psychotherapeutischen Behandlung Transsexueller mit dem Ziel der Angleichung an ihr Wunschgeschlecht nicht nur einen Irrweg für die Betroffenen, der ihnen keine Erfüllung und Zufriedenheit bringt. Transsexuelle und vor allem ihre medizinischen und therapeutischen Berater, die sie als transsexuelles Imperium bezeichnet, tragen ihrer Auffassung nach darüber hinaus auch zur Verfestigung tradierter Geschlechtsrollen bei und schaden den Frauen in ihrem Kampf um Überwindung von Diskriminierung und Ausgrenzung. Transsexualität betrachtet sie nicht als individuelles Leiden an der Diskrepanz zwischen angeborenem und empfundenem Geschlecht, sondern als Irreführung von Menschen, die an der Geschlechterdichotomie leiden. Die Geschlechtszugehörigkeit wird nach Raymond durch die Chromosomen eindeutig und für immer bestimmt, so dass medizinische Eingriffe aus einem Menschen mit XX-Chromosomen niemals eine Frau machen können. Besonders negativ äußert sie sich über lesbische Transsexuelle. Diese sind nach ihrer Auffassung Männer, die die Herrschaft des Patriarchats – Eunuchen gleich - in eine ihnen verschlossene Frauenwelt hineintragen.
Rafael Salin-Pascual: The Transsexual Persons and the Brain. Lulu, Mexico City 2008.
Der Autor ist ein weltweit renommierter Hirnforscher, der sich neben der Schlafforschung und der Psychopharmakologie auch mit der Untersuchung von Gehirnstrukturen bei transsexuellen Menschen einen Namen gemacht hat. Dementsprechend waren meine Erwartungen an dieses Buch sehr hoch. Ich versprach mir einen aktuellen Überblick über den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Funktionsweise männlicher und weiblicher Gehirne, deren Unterschiede, und vor allem den Variationen, die Transsexuelle dabei aufweisen, und natürlich auch einige neue, noch unveröffentlichte Erkenntnisse. Leider wurden meine hohen Erwartungen jedoch in weiten Teilen enttäuscht.
Salin-Pascual betrachtet Transsexuelle mit großer Sympathie und viel Verständnis. Leider geht er jedoch nur sehr oberflächlich auf die wissenschaftliche Hirnforschung und deren Beiträge zur Erklärung der Transsexualität ein. Der Inhalt des Buches gibt in weiten Teilen nur hinlänglich bekanntes Wissen über Transidentität und den Transitionsprozess wider. Und dies macht er schlechter als manch anderes, besser lesbares Buch. Ich habe wenig Neues darin gefunden.
Sehr ärgerlich ist die schlechte, oft grob fehlerhafte Verwendung der englischen Sprache. Sie macht das Buch schwer lesbar. Auch die nachlässige Textformatierung erschwert die Lesbarkeit. Bei dem hohen Preis könnte man eigentlich einen professionell arbeitenden Lektor erwarten. Ich kann das Buch nicht zur Lektüre empfehlen.
Die Hidjras verstehen sich als Menschen jenseits von Mann und Frau. Sie stellen eine eigene Kaste dar, die am unteren Rand der indischen Gesellschaft steht. Trotz ihres niedrigen sozialen Status ist damit aber eine grundsätzliche gesellschaftliche Anerkennung verbunden. Vor allem ältere Menschen respektieren die Hidjras, fürchten sie aber zugleich auch, weil sie Unglück bringen können. Die Hidjras leben in Wohngemeinschaften und treten uneingeladen bei Ereignissen wie Geburten und Hochzeiten mit Gesängen und Schauspielereien auf und verlangen dafür eine Entlohnung, die ihnen auch gewährt wird, um Unglück zu verhindern. Mit der anhaltenden Verwestlichung der indischen Gesellschaft wird die traditionelle, von Toleranz geprägte Einstellung zu den Hidjras aber mehr und mehr verdrängt.
Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie ist für mich, dass Kultur und Religion erhebliche Auswirkungen auf die Einstellung der Menschen zur Rolle von Mann und Frau haben. Unsere christlich-jüdisch geprägte Vorstellung von Mann und Frau ist nicht naturgegeben, sondern nur denkbar im Zusammenhang mit der jahrhundertelangen christlichen Prägung unseres Denkens. Äußerst bedenklich finde ich jedoch einige medizinische Aspekte. Sie entfernen in Selbstmedikation auf eine für westliche Maßstäbe archaische Weise unter Lebensgefahr ihre Geschlechtsteile. Auch hormonelle Behandlungen kennen sie offenbar nicht.